OHNE BEWUßTSEINSÄNDERUNG

KEIN WIRKSAMER UMWELTSCHUTZ

 

Die Mächtigen in der heutigen globalen Industriekultur sehen sehr wohl, daß wir uns in Richtung Abgrund bewegen. Daher die Umweltkonferenz in Rio 1992 und nun, im März 1995, die Weltklimakonferenz in Berlin. Die Mehrzahl geht aber noch von der Einstellung aus, mit technischem Flickwerk ließe sich das Problem lösen. Wir brauchen eben noch mehr und bessere Kläranlagen, Filter, Katalysatoren, weniger CO2-Austoß, Ersatz für FCKWs, intensivere Wiederverwertung von Wertstoffen, mehr Naturschutz, usw. Die Kosten für all das Flickwerk bedeuten dann weiteres Wirtschaftswachstum, eine aus ihrer Sicht wünschenswerte Entwicklung. Man besuche nur die immer mächtiger werdenden Messen für "Umwelttechnik".

Wir stehen aber nicht vor einem rein technischen Problem. Wir müssen uns doch fragen, warum ist unsere Zivilisation so zerstörerisch? Wir sollten noch tiefer gehen. Warum ist die technologische Revolution vom christlichen Europa ausgegangen, nicht im Buddhismus, Tao und Hinduismus, bei den Mayas, Azteken oder Inkas entstanden? Eigentlich hätte es doch schon bei den alten Griechen losgehen sollen. Die sind doch die Urväter der modernen Wissenschaft. In knapp zweihundert Jahren hat es der Westen von primitiven Dampfmaschinen bis zur Landung auf dem Mond gebracht. Man stelle sich vor, zweitausend Jahre ungehemmte Technik! Hätte der Planet das überlebt? Wohl nur mit einer Weisheit, die uns völlig abgeht.

Das mittelalterliche Christentum hatte ein eigenartiges Weltbild. Genesis gab uns das Konzept eines persönlichen Schöpfers, der außerhalb und über der Welt steht, uns nach seinem Ebenbild schaffte, die Natur für uns machte, sie uns zu Diensten stellte. Die Natur wurde zum Objekt. Sie steht außerhalb unserer Ethik. Wir müssen sie zwar erhalten, auch pflegen, aber eben nur, weil sie uns nützlich ist, sie ist nicht sakral, hat keinen Sinn an sich. Wir können uns daher oft gar nicht vorstellen, warum Menschen, die wir für primitiv halten, sich dagegen stemmen, wenn wir ihre "heiligen" Berge oder Wälder schänden.

Außerdem hatte der Schöpfer mit uns einen Bund geschlossen. Wir sollten uns nach seinem arbiträrem Willen benehmen, oder wir würden aus dem Paradies verstoßen. Was dann auch geschah. Von da an war die Welt für uns ein schlechter Ort. Das biblische Judentum versuchte noch in dieses Paradies - hier auf dieser Welt - zurückzufinden. Im Christentum wurde auch das Paradies auf eine transzendentale Ebene verlegt, die Erde wurde zum Jammertal, ein Ort, wo man eine Art Prüfung zu bestehen hatte, mit möglichst viel Leid, harter Arbeit, Buße, Verachtung aller körperlichen Freuden.

Als dann, über die Araber, die griechische Wissenschaft nach Europa kam, wurde sie prostituiert. Aus einem sauberen, kontemplativen Dialog mit dem Universum, was ja Wissenschaft wohl sein müßte, das Schauen der göttlichen Schönheit des Universums, wurde sie degradiert zum Instrument zur Beherrschung der Natur. Was sich heute Wissenschaft nennt, ist fast ausschließlich Technik, mit der Absicht die Natur immer weiter rein menschlichem Nutzen zu unterwerfen. Selbst, wo fundamentale Forschung, wie in der Teilchenphysik, betrieben wird, wird argumentiert, wenn auch jetzt noch kein Nutzen zu sehen ist, irgendwann werden wir Anwendungsmöglichkeiten finden. Man siehe, was sich jetzt in der Molekulargenetik abspielt. Die ersten Einblicke, die wir gewonnen haben, in die tieferen Geheimnisse des Lebens, werden genutzt, unter anderem, um die Landwirtschaft mit patentierten pestizidresistenten Sorten noch abhängiger von der Großindustrie zu machen, als sie es bereits ist.

Die moderne Industriegesellschaft ist eine fanatische Religion. Sie hat bereits die gesamte Welt erorbert. Grunddogma ist das ungeschriebene Postulat, die Welt sei unvollständig, sie müsse verbessert werden. Wir haben den Schlüssel zum Heil - das ist die Technik. Aus dem Christentum hat sie die Unsitte des missionarischen Dranges übernommen. Die Welt wird eingeteilt in "entwickelte", das sind die bereits erlösten und die "unterentwickelten" Länder, die wir höflicherweise "Entwicklungsländer" nennen, sie wollen ja nichts anderes als bekehrt werden. Auf den gesamten Globus, bis in die letzte Wildnis, sollen sich dieselben Material-schlachten ausbreiten, damit überall die Industrie und das Bruttosozialprodukt wächst und es darf keine Grenzen für weiteres Wachstum geben. Sowenig der christliche Missionar danach fragte, ob der "Wilde" mit seiner eigenen Mythologie nicht einen eher sinnvolleren Lebensinhalt hatte, sowenig fragen wir danach, ob die zu entwickelnden Menschen in ihrer angestammten Kultur nicht glücklicher sind als wir in unserer immer sinnloser werdenden Hast.

Diese neue fanatische Religion hat nun eine umgekehrte Tugendskala. Während alle früheren Religionen, auch politische Ideologien, selbst die verabscheuens-würdigsten unter ihnen, zumindest für den internen Gebrauch, positive Tugenden förderten, wie Enthaltsamkeit, Sparsamkeit, Ehrlichkeit, Treue, Respekt vor gewachsenen Werten, fördert diese Religion hedonistisch-orgiastisches Verhalten, Genußsucht, Raffgier, Verschwendung, Rücksichtslosigkeit. Ein Kind, das heute von Anfang an der Flut von Desinformation und Reklame im Fernsehen ausgesetzt ist, kann daraus nur eine rein egoistische Ethik ableiten. Eine teuflische Religion!

Wenn es uns nicht gelingt, aus dieser moralischen Katastrophe herauszukommen, haben wir keine Zukunft. Wir werden systematisch alle lebenserhaltenden Systeme abbauen. Die "Primitiven" wußten, daß wir Menschen nur ein Teil eines größeren Ganzen sind, wir dagegen wollen noch immer nicht wahrhaben, was uns die Ökologie längst gezeigt hat, daß die Erde eben nicht ein Gratislagerhaus für unbegrenzte Ressourcen zum Verbrauchen, Verschwenden, Veraasen ist. Nein, die Erde, ist der einzige lebendige Planet, den wir kennen. In anderen Sonnensystemen und in anderen Galaxien mag es andere geben, sie stehen uns nicht zur Verfügung. Die Erde ist ein integrierter Organismus, sie hat ihre eigene Bio-geo-physiologie, ihren eigenen Stoffwechsel. Sie ist ein homoeostatisches, selbstreguliertes System, wie ein lebender Organismus. Wir nennen ihn GAIA.

Die Zivilisation kann nur als integriertes Organ dieses einmaligen lebendigen Wesens überleben.

Dies setzt eine neue, eigentlich uralte Ethik voraus, eine, die gesamte Schöpfung umfassende holistische, nicht mehr antropozentrische Ethik, basierend auf dem Grundprinzip der Ehrfurcht vor dem Leben, in all seinen Formen und Erscheinungen, wie von Albert Schweitzer postuliert, ähnlich von Franz von Assisi gepredigt.

Die geistige Revolution wird nicht leicht sein. Es geht jetzt darum, was kommt zuerst? Die Bewußtseinsänderung oder die Katastrophe?

José A. Lutzenberger

Porto Alegre, 17.02.1995

(Gastkommentar für den "G'wissenswurm", Ausgabe der Stadt Ingolstadt, Bundesrepublik Deutschland, erschienen April 1995)

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