Ökologische Verantwortung in der automobilen Gesellschaft

An der Situation, wie sie heute im Transportwesen herrscht läßt sich am klarsten erkennen, daß die jetzige Form der globalen Industriekultur, die Konsum-gesellschaft, nicht nachhaltig ist. Man braucht doch nur eine einfache Fortschreibung zu machen, und zwar genau die, welche die Bosse der Autoindustrie machen. Sie freuen sich über die gewaltigen Marktchancen, die unter anderen, in China auf sie warten. Diese Leute scheinen tatsächlich zu glauben, daß in nicht zu ferner Zukunft der letzte Chinese in der Gobiwüste und der letzte Gummisammler am entlegensten Ufer in Amazonien es auch auf zwei und vielleicht mehr Wagen pro Familie bringen wird.

Wir haben heute schon mehr als eine halbe Milliarde PKWs auf dem Planeten, LKWs und andere Dienstfahrzeuge nicht eingeschlossen. In den Ländern der sogenannten Ersten Welt liegt das Verhältnis Wagen pro Einwohnerzahl schon knapp unter zwei, zum Teil sogar bei 1,7. Hätte die heutige Weltbevölkerung von 5,7 Milliarden eine solche Rate insgesamt, wir kämen auf über zwei Milliarden Wagen. Kann der Planet das verkraften? Wie lange? Es soll aber nicht dabei bleiben. Diejenigen, die eine unentwegt wachsende Wirtschaft wünschen, freuen sich auf das Bevölkerungswachstum.

Für das Jahr 2020 wird mit mindestens acht Milliarden Menschen gerechnet, zehn Jahre danach sollen es schon zehn Milliarden sein und um 2050 könnte es sich bei ca. 20 Milliarden einspielen, wird angenommen. Die herrschende ökonomische Doktrin geht aber davon aus, daß der Lebensstil der Konsumgesellschaft sich auf die ganze Menschheit ausbreiten kann und soll. Dafür gibt es Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe. Kann man sich aber fünf oder sogar zehn Milliarden Wagen vorstellen?

Selbstverständlich wird es dazu nicht kommen. Lange davor kommt es zu Zusammenbrüchen, im Lebensstil und in der Bevölkerungszahl. Die Materialschlachten und Verwüstungen wären so grotesk, daß sie alles bisher Geschehene in den Schatten stellen würden. Schon heute führt allein die Stahlgewinnung und die Erzeugung von Aluminium, die in Brasilien Hand in Hand gehen, zum Abbau ganzer Berge in Amazonien (Carajás), zu Staudämmen (Tucurí), die Tausende von Quadratkilometern intakten Regenwald überfluten, für den elektrischen Strom. Mehr als zehntausend Menschen, friedlich lebende Waldbewohner, darunter Gummisammler, verloren ihre Existenzgrundlage, landeten in den Slums der Städte. Für zwei Indianerstämme war es das Ende. Indirekt führte das Tucurí-Carajas-Projekt durch die "Erschließung" der Wildnis zur Entwaldung eines Gebietes von über hunderttausend Quadratkilometern, um ein Viertel größer als Österreich. In den Köpfen unserer Technokraten ist Wildnis in ihrer intakten Form, wertloses Gelände. Hier in Brasilien sagen unsere Regierenden gerne: "Este imenso vazio" (diese unendliche Leere). Im Staate Minas Gerais fressen die Eisenhütten mit ihrem unersättlichen Appetit für Holzkohle schon die letzten Reste Cerrado-Wälder auf. Die Meiler rücken schon in die Nachbarstaaten Mato Grosso, Goiás, Tocantins und sogar weiter nördlich nach Maranhão vor. Für die Stahlfirmen ist die Holzkohle, obwohl sie schon per LKW über Distanzen von über tausend Kilometern transportiert werden muß, "wirtschaftlich" vertretbar, weil die armen Köhler an den Meilern wie Sklaven behandelt werden.

Wie lange kann diese Art Entwicklung noch weiter gehen?

An Großprojekten wie Tucurí-Carajás kann man einen weiteren Aspekt der verderblichen Kosten unseres Konsumverhaltens sehen. Man kann es Neo-Kolonialismus nennen. Die Erste Welt konzipiert, fördert und finanziert "Entwicklungsprojekte", liefert dazu die teure Technik, wie in diesem Falle die Turbinen und Generatoren. Dadurch gelingt es ihr die Rohstoffe der Dritten Welt zu sündhaft niedrigen Preisen einzukaufen. Die Dritte Welt übernimmt die ökologischen, die sozialen und die finanziellen Kosten.

Die mit absurd hohen Umweltkosten verbundene und extrem energieaufwendige Produktion von Aluminium hindert die Erste Welt nicht daran dieses Metal, welches wegen dieser Kosten als Edelmetal betracht werden müßte, widersinnig zu verschwenden, wie z.B. in Bierbüchsen. Eine einzige Bierbüchse verbraucht in ihrer Herstellung eintausendvierhundert Wattstunden. Zur Veranschaulichung: eine Glühbirne von 100 Watt kann mit dieser Strommenge vierzehn Stunden brennen. Selbst die Wiederverwendung eines Teiles der Büchsen durch Einschmelzen ändert an der Situation nichts, es kostet nur zusätzlich Energie. Nichts außer Gewinnsucht, spricht gegen Mehrwegflaschen. Eine ökologisch vernünftige Wirtschaft könnte Techniken dieser Art nicht zulassen.

Das Aluminium ist auf dem Weltmarkt so billig, eben weil Tucurí den Strom an die Hütten unter Gestehungskosten liefern muß, mit dem Argument, anders könne nicht zu Weltmarktpreisen produziert werden...

Diese Art von "Entwicklung" führt zu fortschreitender Verarmung und Verschuldung in der Dritten Welt, was die Mächtigen veranlaßt, immer neue "Entwicklung" zu fördern. Im klassischen Kolonialismus eroberten die Kolonialmächte mit ihren Streitkräften fremdes Territorium und installierten dort eigene Regierungen. Das ist heute nicht mehr nötig, es wäre auch zu teuer und politisch nicht mehr machbar. Heute wird die Welt von transnationalen Konzernen regiert, die brauchen sich nur mit den lokalen Mächtigen zu arrangieren. Es ist wohl kein Zufall, daß neulich in der Bundesrepublik Deutschland im Parlament ein Anlauf für ein Verbot des Absetzens von der Steuer für Schmiergelder im Ausland scheiterte.

Die Autoindustrie will nicht nur immer mehr Wagen produzieren, sie programmiert auch immer sinnloseren Verschleiß, als seien die Rohstoffe unbegrenzt. Der Betrug der geplanten Veralterung sorgt auch dafür, daß immer mehr technisch irrelevanter Firlefanz an den Autos jedes Jahr anders aussieht, damit die Käufer möglichst bald auf ein neues Modell umsteigen wollen, was manchmal auch noch steuerlich gefördert wird. Deshalb will uns die Reklame weismachen, mit immer verrückteren Wagen könnten wir Status kaufen. Wer das akzeptiert, gibt sich ein intelektuelles Armutszeugnis.

Technisch sinnvolle Lösungen für den Massentransport müßten doch ganz anders aussehen. Welcher Fabrikverwalter würde eine Maschine kaufen, eine komplexe, teure, kurzlebige Maschine, die über neunzig Prozent der Zeit herumsteht und im Wege steht, die genau das behindert, wofür sie eigentlich gedacht ist? Aber genau dies ist die Situation der Millionen Privatwagen, die unsere Städte verstopfen.

Ich könnte mir eine vernünftigere Lösung vorstellen. Nehmen wir an, zusätzlich zu einem verbesserten Netz von Straßenbahnen, Elektrobussen, U-, S- und Fernbahnen, wären an den Stationen in den Vorstädten und auf dem Lande öffentliche Wagen verfügbar, wie die Gepäckwägelchen im Flughafen. Diese wären robust und ohne geplanten Verchleiß gebaut, mit allgemein austauschbaren Teilen. Warum können Windschutzscheiben, Türen und Sitze, sowie Motoren, Getriebe und deren Teile nicht genauso standardisiert sein wie Schrauben und Reifen? Bezahlen könnte der Benutzer mit einer Kreditkarte oder es wären Taxis. Diese würden auch nicht mehr solange herumstehen und auf Kunden warten. Unsere Städte und auch das Land sähen ganz anders aus. Und welch gewaltige Einsparung an Ressourcen! Solche oder ähnliche Lösungen - LKWs für Langstrecken, möglichst Huckepack auf die Eisenbahn - setzen natürlich politische Entscheidungen voraus. Die wird es aber erst geben, wenn es in der Bevölkerung zu einer Bewußtseinsänderung kommt. Die Autoindustrie wird sich natürlich mit allen Mitteln dagegen wehren.

Aber nicht nur der Personenverkehr ist heute technisch und sozial absurd, das heutige Wirtschaftssystem führt bereits zu einem Aufwand an Gütertransport, wie ihn eigentlich nur ein Verrückter hätte vorausplanen können, und es wird jeden Tag schlimmer.

In Südbrasilien haben wir die Subtropischen Regenwälder im Uruguaytal praktisch ausgelöscht, um Sojabohnen anzubauen, nicht etwa zur Ernährung hungernder Brasilianer, nein, für die fetten Kühe und Schweine im Gemeinsamen Markt. So werden in Norddeutschland Schweine gemästet mit Soja, das Tausende von Kilometern LKW-Fracht hinter sich hat und über zwölftausend Kilometer Schiffreise. Die geschlachteten Schweine werden zum Teil per LKW über die Alpen nach Süditalien gebracht. Dort wird Salami Italiano hergestellt, der bis nach Skandinavien über die Alpen zurück verfrachtet wird. Gleichzeitig werden in den Hühner-KZs in Manaus, am Amazonas, die Hähnchen mit importiertem Mais aus USA und, ja, Pulvermilch (!) aus dem Gemeinsamen Markt gefüttert. Die Pulvermilch entstand zum Teil aus dem Soja. Was hat das mit sinnvoller Produktivität zu tun?

In Kolumbien, Ekuador, Venezuela, Mexiko und Südafrika werden tausende von armen Frauen für Hungerlöhne in Gewächshäusern mit Agrargiften gesundheitlich schwer geschädigt, damit Europäer und Nordamerikaner oder Japaner das ganze Jahr über saisonungemäße oder exotische Blumen kaufen können, die wenige Tage später auf der Mülldeponie oder im Verbrennungsofen landen. Transportiert werden die Blumen per Flugzeug.

Ich kenne in der Nähe meiner Heimatstadt eine Konservenfabrik, die praktisch nichts lokales mehr verarbeitet. Sie importiert Pfirsiche aus Griechenland, Karroten aus Mexiko, Erbsen aus dem Hungerland Äthiopien, Tomaten aus Chile und Ananas kommt sowohl aus Nordbrasilien - nur ca. 3.000 Kilometer (!) - und aus den Antipoden, Tahiti. Gleichzeitig werden unsere Bauern, die all diese Früchte und vieles mehr hier produzieren können von einer unsozialen Agrarpolitik und von einer Mafia im Großhandel kaputt gemacht.

Wo bleibt bei alledem die Vernunft?

Nun wird die Globalisierung der Wirtschaft, wie von der Welthandelsorganisation, vom Währungsfonds und von der Weltbank gefördert, diesen Unsinn noch weiter forcieren und weiter zur systematischen Entwurzelung des Bauerntums überall in der Welt beitragen. An der Mosel müssen die kleinen Winzer aufgeben, weil sie gegen südländischen Wein nicht mehr ankommen, die österreichischen Bauern mußten schon eine empfindliche Reduzierung des Milchpreises zur Anpassung an die EG hinnehmen, der für viele fatal ist.

Die Indianerbauern mit alter Maya- und Aztekentradition in Chiapas, Mexiko, sind aufgestanden, weil sie wissen, daß sie durch die zu erwartende Flut US-amerikanischer Agrarprodukte, die durch NAFTA (Nordamerikanischer Gemeinsamer Markt) auf sie zukommt, in die Slums verdrängt werden. In Bangalore, Indien, gab es im Oktober 1993 eine Demonstration, an der eine halbe Million Bauern aus ganz Südostasien teilnahm - gegen die Globalisierung der Wirtschaft. Auch sie wissen, daß ihnen die Entwurzelung droht. Die Globalisierung der Wirtschaft dient heute auch dazu, soziale Errungenschaften in der Ersten Welt abzubauen, indem ganze Fertigungsanlagen einfach in Länder mit niedrigen Löhnen und Sozialauflagen auswandern. Ebenso werden ökologische Auflagen umgangen. Ein großer Teil der Gerberein im deutschsprachigen Raum läßt heute den dreckigen Teil der Gerbung in der Türkei machen, statt zuhause ökologisch sauber zu arbeiten, was durchaus möglich ist und ökonomisch vorteilhaft sein kann.

Zurück zum Transportwesen. Mexiko City ist bereits eine Hölle von über zwanzig Millionen Menschen. Diese und all die anderen Megametropolen der Dritten Welt, in denen Millionen in Elendsviertel leben müssen, sind nun für das Überleben total vom Petroleum abhängig. Was wird passieren, wenn die echte Ölkrise kommt? Keine Regierung plant auf Jahrzehnte voraus.

In Brasilien hatten wir bis in die vierziger Jahre ein für die damalige Verhältnisse gutes Eisenbahnsystem. Als die Autofabriken kamen, hat man es verkommen lassen und sogar abgebaut, ebenso all unsere Straßenbahnen. Der gesamte Warentransport Brasiliens, und auch in fast allen anderen lateinamerikanischen Ländern liegt auf der Straße. Wir haben viertausend Kilometer Küste, das Amazonasbecken ist das größte und komplexeste schiffbare Flußnetz der Welt und ist auf natürlichem Wege mit dem Orinokobecken verbunden. Auch dort baut man, mit horrenden Kosten für die Umwelt, Straßen, verbaut Flüße mit großen Staudämmen und vernachlässigt oder behindert den Verkehr auf dem Wasser. Uruguay, Paraná, Paraguay und São Francisco sind weitere mächtige Wasserstraßen. Sie werden für den Transport kaum genutzt, dafür aber mit großen Dämmen unschiffbar gemacht.

Abgesehen vom Alkoholprogramm, welches mit seinen horrenden sozialen und ökologischen Kosten, aber energetisch ein relativer Erfolg ist, aber nur den Personenwagen der oberen Schichten dient, nicht dem Warentransport, der ganz von Dieselöl abhängig ist, wird kaum etwas unternommen, alternative Wege zu gehen, für ein wirklich vernünftiges Transportwesen.

Für die Zukunft müssen wir alle auf erneuerbare Energien bauen, nicht nur im Transportwesen, sondern in der gesamten Wirtschaft. Es muß aber dezentral strukturiert werden. Wo, z.B. Dieselöl durch Raps-, Soja- oder Sonnenblumenöl ersetzt wird, sollten die einzelnen Bauernhöfe oder Dörfer lokal produzieren und lokal verbrauchen.

Es ist anzunehmen, daß in wenigen Jahren die Wasserstoffzelle soweit ausgereift ist, daß überall auf dem eigenen Dach - nicht wie dem Technopol vorschwebt in großen Sonnenfarmen in der Sahara, oder gar auf Satteliten, wie einige Technofanatiker es schon vorgeschlagen haben - ausreichend Strom mit photovoltaischen Zellen erzeugt und über die Wasserstoffzelle umgesetzt und gespeichert werden kann.

Bei dezentraler Wirtschaft hätten wir überall genug Sonnenenergie, sowohl direkt, wie über Wind, Wasserkraft und Biomasse. Letzteres ist besonders in den Tropen und Subtropen interessant.

Die Probleme des Transportwesens werden wir nicht lösen, indem wir punktuell technisches Flickwerk ansetzen, wir müssen uns grundsätzlich fragen, was ist Fortschritt, was ist nachhaltige Entwicklung? Es geht um qualitative Entwicklung, nicht um Wachstum. Nachhaltiges Wachstum gibt es nicht! Aus ökologischer und sozialer Sicht muß Transport minimiert, nicht maximiert werden.

José A. Lutzenberger
Porto Alegre, RS, Brasilien, 4. August 1995

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