Kompromiß zwischen Ökonomie und Ökologie

Vortrag im Verein Deutscher Ingenieure, am 5.12.1994 in São Paulo
Zusammenfassung

In ihrer jetzigen Form ist die moderne Industriegesellschaft nicht nachhaltig, sie lebt vom Kapital, nicht von den Zinsen. Unser Konsumverhalten basiert vorwiegend auf dem Verbrauch von nicht nachwachsenden Ressourcen. Auch Ressourcen, die nachwachsen können, wie Tropenholz, werden immer noch im Raubbauverfahren genutzt. Alle, das Leben erhaltenden natürlichen Systeme werden abgebaut, gestört oder vergiftet. Selbst die, das Klima regulierenden Mechanismen, wie CO2-Gehalt der Atmosphäre, Ozonschicht, Aerosole und Stäube, Albedo, Wälder, Savannen, Feuchtbiotope, in alles greifen wir rücksichtslos ein. Dieser Lebensstil ist für die, die in praktizieren schon nicht nachhaltig und kann erst recht nicht auf die ganze Welt ausgebreitet werden.

Wenn wir noch vermeiden wollen, daß zu Lebzeiten der bereits geborenen Kinder, schlimme und irreversible Kalamitäten eintreten, müssen wir jetzt beginnen zu handeln.

Dies bedeutet, daß wir uns an erster Stelle in unserem ökonomischen Denken die Grundpostulate neu überlegen müssen:

Die Regierungen müssen in ihren Bilanzen ähnlich rechnen lernen, wie Betriebe. Wenn ein Betrieb so rechnete, wie Regierungen mit dem BSP (Bruttosozialprodukt), dann wüßte er nicht, wann er pleite ist, er würde ja Einkommen und Ausgaben aufaddieren, sich an schönen Zahlen freuen, nicht sehen, wo er Substanz verliert. Wenn wir heute ganze Berge abbauen, ganze Staaten, wie Minas, kahlschlagen um Holzkohle für Eisenhütten zu machen, dann müßte doch in der nationalen volkswirtschaftlichen Bilanz, neben den aufaddierten Devisen, auch der Verlust an Substanz abgezogen werden: der zerstörte Berg, das nicht mehr vorhandene Erz, das herausgepumpte Öl, der vernichtete Wald, die Lebensgrundlagen der entwurzelten Einheimischen, das Aussterben der Indianer. Dies würde zu anderen Formen des Wirtschaftens führen. Statt des Bruttosozialprodukts müssten die Regierungen das Bruttosozialvermögen bilanzieren.

Auch den Markt müssen wir uns neu überlegen. Einmal sind unsere Märkte meistens manipuliert, man siehe nur den EG-Agrarmarkt, zum anderen sind sie heute so strukturiert, daß sie sich meistens gegen soziale Gerechtigkeit und ökologische Vernunft auswirken. Ein Großteil der Menschheit bleibt ausgeschlossen - die Armen haben zwar Berdürfnisse aber keine Nachfrage, weil sie kein Geld haben. Die zukünftigen Generationen haben auf unseren heutigen Märkten auch nichts zu melden, die Schöpfung schon gar nicht.

Auch die Technik müssen wir uns neu überlegen. Es wird doch heute vorwiegend Technik entwickelt und der Gesellschaft als Sachzwang aufgezwungen, oft sogar gesetzlich verankert, die nur für die Mächtigen von Vorteil ist. Das Ziel der Technik müsste aber doch sein - Befriedigung echter menschlicher Bedürfnisse auf die einfachste Weise, im Einklang mit sozialer Gerechtigkeit, die Schöpfung erhaltend und fördernd statt abbauend.

Geplante Veralterung, übertriebene und irreführende Verpackung; Gegenstände für einmalige Nutzung, darunter Einwegverpackung, dazu noch aus so wertvollen und energieverschlingenden Metallen, wie Aluminium; Anpreisung von, z.B., Autos, nicht als effiziente Lösung für den Transport, sondern als Statussymbol; aggressive Reklame, die zu sinnlosem Konsum verführt, all dies und vieles mehr sind aus ökologischer und sozialer Sicht Sünde.

Wir müssen uns aber darüber im klaren sein, daß die notwendigen Änderungen in unserem Konsumverhalten keineswegs schmerzlichen Verzicht und Verlust an Lebensqualität bedeuten, im Gegenteil. Die Art, wie heute unsere Technik orientiert ist, führt doch gerade zu zunehmendem Verlust an Lebensqualität, man denke nur an die verlorene Zeit und den Frust in den gewaltigen Staus im Verkehr, das Gift in der Landwirtschaft, usw.

Wir müssen uns das Transportwesen, die Energie, die Landwirtschaft, das Gesundheitswesen neu überlegen. Besonders das Bildungswesen darf als Ziel nicht mehr den engen Spezialisten - meistens Fachidioten - haben, es muß sich wieder vornehmen, weise Menschen zu bilden, mit weitem naturwissenschaftlich-technischem und ethischen Horizont.

Die moderne Industriekultur, in ihrer rein anthropozentrischen Sichtweise, sieht uns Menschen als einzige Art die Rechte hat und die Erde als sei sie nur ein Gratis-Lagerhaus, in dem man sich nach Belieben rücksichtslos, auch noch für die dümmsten Launen, unbegrenzt bedienen kann.

Der Planet Erde als Ganzes ist aber ein lebendiges System mit eigener Geo-bio-Physiologie, eine sich selbst regulierende homeostatische Funktionseinheit in mechanisch- chemischem Fließgleichgewicht, angetrieben von der Sonnenenergie. So kann man es wissenschaftlich-technisch ausdrücken. Emotiv muß man sagen - Die Erde, Gaia, ist der einzige lebendige Planet in unserem Sonnensystem, alle anderen sind tot. In anderen Sonnensystemen und in anderen Galaxien mag es andere lebendige Planeten geben, aber das kann uns nur rein akademisch interessieren. Wir Menschen sind nur ein Teil Gaias, wir dürfen uns auf ihr nicht wie ein Krebsgeschwür benehmen.

Diese Sicht - in mythologischer Form war sie allen nicht jüdisch-christlich-islamischen Kulturen eigen - führt ganz von selbst zu einer holistischen, die gesamte Schöpfung beinhaltende Ethik, basierend auf dem Grundprinzip der Ehrfurcht vor dem Leben in all seinen Formen und Erscheinungen.

José A. Lutzenberger
9.11.1994

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