Beitrag für die Zeitschrift "Natur und Artenschutz" vom Umweltmimisterium Baden Würtenberg

Während einer Auseinandersetzung mit hohen Beamten der brasilianischen Regierung zeigte man uns eine große Karte des gesamten Regenwaldgebietes. Darauf waren viele kleine grüne Flecken eingetragen. "Was wollt ihr Umweltschützer? Wir geben euch all diese Naturparks, Indianerreservate, Genbanken. Die Artenvielfalt ist gesichert."

"Das können wir nicht akzeptieren. Erstens, zeigt alle bisherige Erfahrung, daß ihr doch nicht schützt, dazu seit ihr gar nicht motiviert. Zweitens, wenn wir das annehmen, dann erklären wir uns doch damit einverstanden, daß alles, was auf dieser Karte weiß ist, und das ist weit über 90%, geplündert werden darf. Dann werden die grünen Inseln auch nicht überleben, dann bricht das Klima zusammen."

In einem einleitenden Vortrag zu einem Seminar über Naturschutzgebiete, in Washington, begann ich mit der Überlegung, daß doch unberührbare Naturschutzgebiete eigentlich eine obszöne Sache seien. Entsetzen im Saal! Aber, was ist das für eine Zivilisation, die kleine Flecken in der großen Landschaft schützen muß, schützen vor ihrer eigenen Zerstörungswut? Ist das nicht ungefähr so, als würde der Einbrecher im großen Schloß sich ein klein wenig zügeln, ein winziges Nebenzimmer schonen, um dann mit großer Beute und gutem Gewissen abzuhauen? Entweder, eine Kultur gliedert sich harmonisch in die Schöpfung ein, dann ist die ganze Landschaft gesund, dann ist alles Park, oder sie hat keine Zukunft.

Natürlich brauchen wir heute Naturschutz, weil sonst bald alles zusammenbricht. Man denke nur an die Regenwälder, die Taiga, die Redwoods, an den Cerrado in Zentralbrasilien, an die rapide fortschreitende Sahelisierung in Afrika, das Ausfischen der Meere, die nicht nachhaltige moderne Landwirtschaft mit ihren Giften, unser Transport- und Energiewesen und die drohende Klimakatastrophe. Aber Naturschutz reicht nicht mehr. Wir müssen unsere globale Industriekultur in ihrer heutigen Form in Frage stellen. Sie geht von einem absurden Weltbild aus. Wir sehen uns Menschen und unsere Wirtschaft als außerhalb und über der Natur stehend. Sie ist für uns nur Rohstoff, Bühne oder Hintergrund. Wo bleibt die Ehrfurcht? Die Wirtschafts"wissenschaftler" sehen in der Ökologie nur eine zweitrangige Externalität der Ökonomie,die man vielleicht internalisieren sollte. Es ist doch umgekehrt. Wir Menschen sind nur ein Teil der Natur. Folglich sind unsere Geschäfte nur ein Teil der Geschäfte der Natur. Es gibt keine "Umwelt". Gaia, der lebendige Planet ist eins!

Wie lange noch wollen wir auf Gaia die schwere Krebserkrankung vorantreiben? Wir stehen vor einer, im Grunde zutiefst religiösen Entscheidung. Es geht um eine neue, die gesamte Schöpfung umfassende holistische Ethik.

José A. Lutzenberger
Porto Alegre, den 9. Mai 1995
Beitrag für die Zeitschrift "Natur- und Artenschutz" vom Umweltministerium Baden Württemberg

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